Die Relativitätstheorie funktioniert gut, wenn man Phänomene im kosmischen Maßstab erklären möchte – etwa die Gravitationswellen, die entstehen, wenn Schwarze Löcher kollidieren. Die Quantentheorie funktioniert gut, wenn es um die Beschreibung von Phänomenen auf Teilchenskala geht – etwa um das Verhalten einzelner Elektronen in einem Atom. Eine völlig zufriedenstellende Kombination beider Dinge ist jedoch noch nicht gelungen. Die Suche nach einer „Quantentheorie der Schwerkraft“ gilt als eine der bedeutendsten ungelösten Aufgaben der Wissenschaft.
Dies liegt zum Teil daran, dass die Mathematik in diesem Bereich sehr kompliziert ist. Gleichzeitig ist es schwierig, geeignete Experimente durchzuführen: Man müsste Situationen schaffen, in denen sowohl Phänomene der Relativitätstheorie eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel eine durch schwere Massen gekrümmte Raumzeit, als auch gleichzeitig Quanteneffekte sichtbar werden, zum Beispiel die duale Teilchen- und Wellennatur des Lichts.
An der TU Wien in Wien, Österreich, wurde hierfür nun ein neuer Ansatz entwickelt: Um solchen Fragen auf den Grund zu gehen, wird ein sogenannter „Quantensimulator“ eingesetzt: Anstatt direkt das interessierende System (nämlich Quanten) zu untersuchen Teilchen in gekrümmter Raumzeit) erstellt man ein „Modellsystem“, aus dem man dann durch Analogie etwas über das eigentlich interessierende System lernen kann. Die Forscher haben nun gezeigt, dass dieser Quantensimulator hervorragend funktioniert. Die Ergebnisse dieser internationalen Zusammenarbeit unter Beteiligung von Physikern der Universität Kreta, der Nanyang Technological University und der FU Berlin werden jetzt in der Fachzeitschrift veröffentlicht Tagungsband der National Academy of Sciences der USA (PNAS).
Von einem System etwas über ein anderes lernen
Die Grundidee des Quantensimulators ist einfach: Viele physikalische Systeme ähneln sich. Auch wenn es sich um völlig unterschiedliche Arten von Teilchen oder physikalische Systeme auf unterschiedlichen Skalen handelt, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben, können diese Systeme auf einer tieferen Ebene denselben Gesetzen und Gleichungen gehorchen. Das bedeutet, dass man etwas über ein bestimmtes System lernen kann, indem man ein anderes studiert.
„Wir nehmen ein Quantensystem, von dem wir wissen, dass wir es in Experimenten sehr gut kontrollieren und anpassen können“, sagt Prof. Jörg Schmiedmayer vom Atominstitut der TU Wien. „In unserem Fall handelt es sich um ultrakalte Atomwolken, die von einem Atomchip mit elektromagnetischen Feldern gehalten und manipuliert werden.“ Angenommen, Sie passen diese Atomwolken richtig an, sodass ihre Eigenschaften auf ein anderes Quantensystem übertragen werden können. Dann kann man aus der Messung des Atomwolken-Modellsystems etwas über das andere System lernen – ähnlich wie man aus der Schwingung einer an einer Metallfeder befestigten Masse etwas über die Schwingung eines Pendels lernen kann: Es sind zwei verschiedene physikalische Systeme, aber eines kann in das andere übersetzt werden.
Der Gravitationslinseneffekt
„Wir konnten nun zeigen, dass wir auf diese Weise Effekte erzeugen können, mit denen man die Krümmung der Raumzeit nachahmen kann“, sagt Mohammadamin Tajik vom Vienna Center for Quantum Science and Technology (VCQ) – TU Wien, Erstautor des aktuellen Papiers. Im Vakuum breitet sich Licht entlang eines sogenannten „Lichtkegels“ aus. Die Lichtgeschwindigkeit ist konstant; Zu gleichen Zeiten legt das Licht in jede Richtung die gleiche Strecke zurück. Wird das Licht jedoch durch schwere Massen beeinflusst, beispielsweise durch die Gravitation der Sonne, werden diese Lichtkegel gebogen. In gekrümmten Raumzeiten sind die Wege des Lichts nicht mehr vollkommen gerade. Dies wird als „Gravitationslinseneffekt“ bezeichnet.
Das Gleiche lässt sich nun auch in Atomwolken zeigen. Anstelle der Lichtgeschwindigkeit untersucht man die Schallgeschwindigkeit. „Jetzt haben wir ein System, in dem es einen Effekt gibt, der der Raumzeitkrümmung oder dem Gravitationslinseneffekt entspricht, aber gleichzeitig ist es ein Quantensystem, das man mit Quantenfeldtheorien beschreiben kann“, sagt Mohammadamin Tajik. „Damit haben wir ein völlig neues Werkzeug, um den Zusammenhang zwischen Relativitätstheorie und Quantentheorie zu untersuchen.“
Ein Modellsystem für die Quantengravitation
Die Experimente zeigen, dass sich die Form von Lichtkegeln, Linseneffekten, Reflexionen und anderen Phänomenen in diesen Atomwolken genau so nachweisen lässt, wie man es in relativistischen kosmischen Systemen erwartet. Dies ist nicht nur für die Generierung neuer Daten für die theoretische Grundlagenforschung interessant – auch die Festkörperphysik und die Suche nach neuen Materialien stoßen auf Fragestellungen, die eine ähnliche Struktur haben und daher durch solche Experimente beantwortet werden können.
„Wir wollen diese Atomwolken nun besser kontrollieren, um noch weitreichendere Daten zu ermitteln. So können beispielsweise Wechselwirkungen zwischen den Teilchen noch ganz gezielt verändert werden“, erklärt Jörg Schmiedmayer. Auf diese Weise kann der Quantensimulator physikalische Situationen nachbilden, die so kompliziert sind, dass sie selbst mit Supercomputern nicht berechnet werden können.
Der Quantensimulator wird so zu einer neuen, zusätzlichen Informationsquelle für die Quantenforschung – neben theoretischen Berechnungen, Computersimulationen und direkten Experimenten. Bei der Untersuchung der Atomwolken erhofft sich das Forschungsteam, auf neue, vielleicht bisher völlig unbekannte Phänomene zu stoßen, die auch auf kosmischer, relativistischer Skala stattfinden – ohne den Blick auf winzige Teilchen aber vielleicht nie entdeckt.